Historisches Foto: Porträt eines jungen Mädchens

Stefan George und das American Girl

Ein Fotoalbum im Familienarchiv des Hauses Hessen gibt eine Leistungsschau des Fotografen Jakob Hilsdorf.

Jacob Hilsdorf (1872–1916) war einer der renommierten Salonfotografen des frühen 20. Jahrhunderts, der zahlreiche bekannte Persönlichkeiten – vom Hochadel über Industrielle und Künstler bis hin zu anonymen Personen – gekonnt porträtierte. Es lag auf der Hand, dass ihm früher oder später auch Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein, der sich ja nachgewiesener Maßen gerne ablichten ließ, vor die Linse kam. Hilsdorf lebte im Großherzogtum, in Bingen, wo er auch geboren worden war, und so ist es keineswegs verwunderlich, dass er dem Landesherrn ein umfangreiches Album mit einer Auswahl von Porträtfotografien zusandte. „Seiner Königlichen Hoheit dem Grossherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein unterthängist gewidmet“ steht auf dem Titelblatt, und mit Hand ist hinzugefügt „JHilsdorf – Bingen“ (HStAD Best. D 27 A Nr. 81Öffnet sich in einem neuen Fenster).

Zwei historische Porträtfotos, links Frau in Abendrobe, rechts junger Mann
Mondän: Frau von S. - Melancholisch: der Dichter Friedrich Gundolf (HStAD, D 27 A, 81)

Insgesamt 49 Porträtaufnahmen umfasst das in braunes Leder gebundene Album: Industrielle wie Otto Henckell oder die Familie von Bohlen und Halbach sind darin enthalten, Politiker wie Bernhard von Bülow, Maler wie Lawrence Alma-Tadema oder der 1905 verstorbene Adolph von Menzel, was als terminus ante quem des Albums angesehen werden könnte, sowie Sängerinnen wie Lilli Lehmann und Schauspielerinnen wie Tilly Durieux. Hilsdorf scheint aber auch ganz bewusst den Bezug zum Großherzog und zum Großherzogtum gesucht zu haben: der Architekt Joseph Maria Olbrich war eine der prägenden Persönlichkeiten in der Künstlerkolonie Mathildenhöhe.

Historische Fotos: Zwei Porträts von Männern
Selbstbewusst: der österreichische Architekt Joseph Maria Olbrich. Künstlerisch: der britische Maler Augustus John (HStAD, D 27 A, 81)

Der Komponist Siegfried Wagner und dessen Schwager, der Kunsthistoriker Henry Thode, standen mit Ernst Ludwig in regelmäßigem Kontakt. Der Dichter Stefan George stammte aus Bingen und war in Darmstadt in die Schule gegangen, und der Germanist Friedrich Gundolf war in Darmstadt geboren worden. Beatrice von Battenberg war eine Tante des Großherzogs. Hinzu kommt eine Reihe anonymer oder anonymisierter Personen – darunter ein American Girl.

Historische Fotos: Porträts einer älteren Dame und eines Mannes
Royal: Beatrice von Battenberg. Grüblerisch: der Dichter Stefan George (HStAD, D 27 A, 81)

Otto Scheffers würdigte das Schaffen Hilsdorfs in der Zeitschrift „Deutsche Kunst und Dekoration“ (1905/6) ausgiebig: „J. Hilsdorfs Stärke liegt in seiner Persönlichkeit, in der Art und Weise, wie er mit seinen Modellen umzugehen, wie er sie zu beobachten weiss, ohne dass sie es merken, wie er ihnen die charakteristischsten Seiten abzugewinnen versteht. Er hat einen ausgesprochenen Geschmack, und er überblickt trotz seiner äusseren Ruhe mit Windeseile die Situation.“ Der Beitrag wird mit einer Reihe von Porträtfotografien derjenigen Personen illustriert, die auch in dem Darmstädter Album zu finden sind.

Historisches Foto: Mann sitzt mit verschränkten Beinen auf einem Stuhl oder Hocker
Locker: Großherzog Ernst Ludwig von Hessen, um 1905 (HStAD, D 27 A, 81)

Das Album, so es denn als Werbung gedacht war, hatte Erfolg. Denn der Großherzog ließ sich in den kommenden Jahren mehrfach von Hilsdorf porträtieren. Diese Bilder, die verständlicherweise im Album fehlen, gehören zu den bekanntesten Porträtfotografien des Großherzogs. Dazu zählt das Bild mit verschränkten Beinen, das 1905/6 in der Zeitschrift „Deutsche Kunst und Dekoration“ erschien und wohl als direktes Resultat der Werbemaßnahme des Fotografen zu werten ist. Der Großherzog ernannte Hilsdorf 1912 für seine Verdienste auch zum „Großherzoglich-Hessischen Hofrat“. Leider konnte dieser sich daran nicht mehr lange erfreuen. Psychisch erkrankt beging er 1916 Suizid. Sein beachtliches künstlerisches Werk aber bleibt.

Rouven Pons, Darmstadt

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