Modernes Foto: Fünf dicke große, stark abgegriffene Folianten liegen in einem Regal

Steuerkataster, die wohl nicht verwendet wurden…

Im Staatsarchiv Marburg hat sich ein Steuerkataster von 1721 erhalten, das recht neu wirkt und im Gegensatz zu den meisten seiner Art kaum Gebrauchsspuren hat und somit auf den Beginn dieser Bücher verweist.

Kataster-Unterlagen gehören zu den häufig frequentierten Quellen in den Archiven, nicht erst seit der Grundbesitzsteuerreform. Sie helfen bei der Gebäudeforschung, indem sie Auskunft über Besitzer und Besitzerwechsel geben, aber auch über die Lage innerhalb eines Ortes. In seltenen Fällen können neben baulichen Veränderungen auch der Zeitpunkt der Erbauung ermittelt werden.

Da die Kataster-Unterlagen aber auch als Grundlage der steuerlichen Festsetzung dienten, waren sie häufig in Gebrauch, was auch an ihrem heutigen Aussehen zu erkennen ist (siehe Abbildung oben). Oft handelt es sich um mehrbändige, dicke Folianten, die deutliche Gebrauchsspuren aufweisen, bisweilen lösen sich Deckel oder auch Seiten, waren sie doch seit der Mitte des 18. Jahrhunderts viel in Verwendung, da jeder Besitzwechsel dokumentiert wurde. Bisweilen wurden auch neue Seiten begonnen, auf denen der Besitz fortgeschrieben wurde.

Modernes Foto: Titelseite eines Folianten in rotem geprägten Leder
Noch ziemlich neu: Einband eines Katasterbandes von Herrenbreitungen

So ist es erstaunlich, dass sich im Staatsarchiv Marburg ein sehr schönes Exemplar eines Steuerkatasters erhalten hat, das aus dem Jahr 1721 stammt (HStAM Kat. I, Nr. Herrenbreitungen B 1Öffnet sich in einem neuen Fenster). Das Stückbuch von Herrenbreitungen verfügt noch über einen fast vollständig erhaltenen Ledereinband mit Prägung (Abb. 2). Es ist davon auszugehen, dass die übrigen Kataster auch zu Beginn über einen solchen, durchaus repräsentativen Einband verfügten. Da er aber im Laufe der Zeit derart verschlissen wurde, wurden Deckel und gegebenenfalls Rückseite mit einem stärkeren Papier überklebt. Das Herrenbreitunger Stückbuch hat kaum Gebrauchsspuren und ist außen nur durch den Fraß eines Papierfischchens beschädigt. Auch sonst scheint es kaum in Gebrauch gewesen zu sein. Zwar wurden die steuerpflichtigen Personen von Landmesser Johann Jacob Cyriacus akribisch erfasst, aber die zu zahlende Steuer wurde nicht notiert. War Herrenbreitungen möglicherweise ein Steuerparadies des 18. Jahrhunderts? Für die paradiesischen Verhältnisse spricht auch, dass das Stückbuch zwar schon über einen Index verfügte, der die Namen der Steuerpflichtigen auflistete, dieser aber nach den Vornamen sortiert war: nach drei Personen mit dem Namen Andreas kommt bei „B“ erst Baltzer, aber dann auch Barbara. Adam und Eva, die im Paradies sich auch nur mit Vornamen ansprachen, erscheinen im Index nicht. 

Index eines Katasters: Handschrift des 18. Jahrhunderts, Namen A und B
Index des unbenutzten Katasters, nach Vornamen sortiert (HStAM, Kat I, Herrenbreitungen B 1)

Sehr beliebt war der Name Hans. Auch die steuerpflichtigen Güter, die Institutionen zugeordnet waren, wurden entsprechend in den Index einsortiert, und so folgen „gemeine Güther“ George Morgenweck und stehen vor George Dörr. Möglicherweise stammte der Landmesser Cyriacus selbst aus Herrenbreitungen oder aus einem in der Nachbarschaft liegenden Ort, so dass er alle Einwohner persönlich und mit Vornamen kannte. Interessant ist auch die Tatsache, dass der erste Eintrag im Stückbuch zu einer Frau gehört: Margaretha Dörr. 

Katastereintrag: Handschrift des 18. Jahrhunderts auf Papier
Eintrag zu Margaretha Dörr im Kataster von Herrenbreitungen. Die Steuerlast ist nicht eingetragen. (HStAM, Kat I, Herrenbreitungen B 1)

Bei der genaueren Betrachtung ist das nicht ungewöhnlich, besaß sie doch die „Herrenbreitunger Wirthschaft, so ehemalen Herrschaftl. gewesen“. Herrenbreitungen, das einstmals zum Stift Hersfeld gehörte und 1583 zu Hessen-Kassel gelangte, war wohl ein Ort, in dem zu Beginn des 18. Jahrhundert die Steuerverwaltung nicht intensiv genutzt wurde. Möglicherweise hing dies mit den Besitzverhältnissen zusammen, die sich Hessen-Kassel mit dem ernestinischen Sachsen in gewissen Bereichen teilte. Auch wenn es nach dem hier erwähnten Band ein erstes Kataster von 1737 gibt, also zu dem Zeitpunkt, an dem die hessen-kasselische Katasterverwaltung meist einsetzt, sind erst die Bände des Lager-, Stück- und Steuerbuches mit Vorbeschreibung von 1768 die Bände, die offensichtlich häufig genutzt wurden (HStAM Kat. I, Nr. Herrenbreitungen B 4 – B 8, s. Abbildungen oben). Dennoch wurde das hier vorgestellte Stückbuch archiviert und ermöglicht dadurch einen Einblick in das Erscheinungsbild dieser Gebrauchsmaterialien zu Beginn ihrer Laufbahn, dokumentiert gleichzeitig die Besitzverhältnisse im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts.

Eva Bender, Marburg