Historische Karte: Oben Ansicht einer mehrflügeligen Kuranlage mit Seitengebäuden, unten Lagelan

Graf Orlandini bittet um Tanz-Erlaubnis in Wilhelmsbad

Der hanauische Graf Orlandini möchte in der Wellness-Oase Wilhelmsbad während der Fastenzeit einen wöchentlichen Maskenball abhalten.

Die christliche Fastenzeit, also die 40 Tage zwischen Aschermittwoch und Ostersonntag, ist als eine Zeit der Buße und des Verzichts gedacht. Weniger Süßigkeiten, Fleisch, Nikotin oder Alkohol stehen hoch oben auf der Liste derer, die zu fasten gedenken. Abseits davon üben sich viele Menschen heutzutage auch darin, das „daddeln“ am Smartphone zu reduzieren oder das übermäßige Serien und Filme „bingen“ einzustellen. Auf manche Dinge kann aber auch einfach nicht verzichtet werden…

So zum Beispiel nicht aufs Feiern, folgt man der Supplik eines gewissen Grafen Orlandini, der Ende Januar 1791 die „hochfürstliche Durchlaucht“ zu Kassel um die Erlaubnis bat, „zum Vergnügen der Frankfurter, und der Gesellschaft der Franzosen, welche sich jezzo am Wilhelms Bade aufhalten“ während der „Fastnachts Zeit […] wöchentlich einmal Bal en Masque“ geben zu dürfen (HStAM, 80, 461Öffnet sich in einem neuen Fenster) . Der Eintritt sei frei und die Beleuchtung gehe auf seine Kosten. Die Angelegenheit schien im äußert dringlich gewesen zu sein, denn eine Entscheidung darüber solle „unmittelbar“ getroffen werden, „da die Sache keinen Verzug leidet“. 

Die Mühlen der landgräflichen Bürokratie mahlten allerdings nicht so schnell, wie er sich das vielleicht erhofft hätte: Die Eingabe des Grafen erreichte zunächst den Geheimen Rat der Regierung in Kassel. Dort wurde das Schreiben vorgelegt und der Sachverhalt in einer der Sitzungen verhandelt. Um sich einen genaueren Eindruck von Orlandinis Vorhaben zu verschaffen, forderte der Geheime Rat die Regierung in Hanau dazu auf, wiederum ihrerseits einen Bericht zu schreiben und darin zusammen mit der hiesigen Rentkammer eine Einschätzung abzugeben. Dieser Bericht wurde schließlich in einer erneuten Sitzung des Geheimen Rats in Kassel besprochen. Doch mit welchem Ergebnis?

Der Einschätzung aus Hanau folgend, sei das Gesuch des Supplikanten Orlandini mit der Begründung abzuschlagen, dass die Gäste auf solchen Veranstaltungen zum sogenannten „Hazard spielen“ verführt werden, welches nicht nur dem Ruf Wilhelmsbads schade, sondern auch die Bevölkerung in den finanziellen Ruin stürzen würde. Beim Hazard-Spiel handelt es sich um ein beliebtes Würfel- bzw. Glücksspiel, das sowohl seitens der kirchlichen als auch der weltlichen Obrigkeiten abgelehnt und zumindest teilweise verboten wurde. In den „hiesigen Städten und Lande“ war es dies auch, „Wilhelmsbad ausgenommen“. 

Die damalige Kurananlage und der heutige Staatspark Wilhelmsbad bei Hanau wurde zwischen 1777 und 1785 auf Geheiß des hanauischen Erbprinzen und späteren Landgrafen Wilhelm IX (1743–1821) errichtet. Das nach dem Landgrafen benannte Bad schien allerdings nicht nur aufgrund seiner Mineralhaltigen Quellen als eine wahre Wellness-Oase beliebt gewesen zu sein, dort gab es sogar ein Casino, dass offenbar regelmäßig von den zahlreichen sich dort aufhaltenden Gästen frequentiert wurde. Die Bitte Orlandinis nahmen die Räte zum Anlass, um diese „dem Supplicanten nicht nur abzuschlagen, sondern es auch Euer Hochfürstliche[n] Durchlaucht nach dem Beispiel anderer Länder, gnädigst […] der sämtlichen hiesigen Dienerschaft ohne Unterschied des Standes und Würde, so wie auch den sämtlichen hiesigen Einwohnern […] das große und kleine Hazard-Spielen an dem Wilhelmsbad […] bey namhaften Strafen zu verbieten, und die Erlaubniß zu solchen Spielen nur allein auf die in Wilhelmsbad sich einfindenden Fremden einzuschränken.“ Kurzum, die Einwohner der Landgrafschaft durften nicht mehr spielen, für die reichen Touristen hingegen, „welche blos von ihrem Gelde leben“ sollte es aber weiterhin erlaubt sein, stellen diese doch eine wichtige Einnahmequelle für die Bevölkerung dar. 

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Auch 50 Jahre nach Graf Orlandini ein beliebtes Reiseziel: Wilhelmsbad bei Hanau, um 1850 (HStAM, 300, P II 5)

Es ist erstaunlich, dass es in der Argumentation selbst gar nicht mehr um die wöchentlichen Maskenbälle während der Fastenzeit ging. Ebenso fehlten jegliche religiösen Bezüge, die eine Ablehnung aufgrund der Fastenzeit gerechtfertigt hätten. Stattdessen standen eher der schlechte Ruf der Region sowie die Angst vor dem wirtschaftlichen Niedergang wegen der Gefahr des übermäßigen Glücksspiels innerhalb der Bevölkerung im Vordergrund.

Der Geheime Rat in Kassel folgte dem Vorschlag der hanauischen Regierung und erteilte Orlandini eine Absage. Die Entscheidung fiel am 15. März 1791, es hätten also durchaus noch einige Bälle während der Fastenzeit stattfinden können (Ostern fiel sehr spät auf den 24. April), doch mussten Gastgeber Orlandini und seine potenziellen Gäste zwangsläufig auf Musik und Tanz verzichten. Immerhin durften sie noch spielen.

Jan-Hendrik Evers, Hessisches Landesarchiv