Kolorierte Zeichnung: Zweiköpfiges Hirschkalb, darunter Schrift

Zweiköpfiges Hirschkalb - Ein Bild, zwei Aspekte: Kuriosum und Erhaltungszustand

In einem Konvolut mit Korrespondenz von Landgräfin Juliane von Hessen-Kassel (1587-1643) findet sich das Bild eines kuriosen Hirschkalbes, das in Ansbach geschossen worden ist.

Das völlig ohne Begleitschreiben in der Briefsammlung der zweiten Gattin von Landgraf Moritz (1572–1632) zu findende Bild (HStAM, 4 a, Nr. 42/26Öffnet sich in einem neuen Fenster) enthält eine Beschreibung: Die reduzierte Unterschrift spricht von „Markgraf Joachim Fürsten von Brandenburg“ als Schützen des Hirschkalbes. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um Joachim Ernst von Brandenburg-Ansbach (1583–1625), der mit Sophie von Solms-Laubach (1594–1651), der Schwester von Landgraf Moritz‘ erster Gattin Agnes von Solms-Laubach, (1578–1602) verheiratet gewesen war. 

Wahrscheinlich ist dies das älteste siamesische Hirschkalb, das bisher dokumentiert wurde. Die Unterschrift liefert weitere Informationen zu dem kuriosen Tier, das nach dem Tod aufgeschnitten wurde und sich im Innern zeigte: „zwei Hertzen, mägen, miltz und zwee rückgrad“. Dies war eine derartige Kuriosität, dass nicht nur das hier vorliegende Bild gemalt wurde, sondern auch ein Kupferstich zur Verteilung angefertigt wurde, der heute noch in der Sammlung des Römisch-Germanischen Museums in Nürnberg zu finden ist (Inventar-Nummer: HB 823 https://objektkatalog.gnm.de/wisski/navigate/30620/viewÖffnet sich in einem neuen Fenster). Hier wird auch eine Datierung genannt: um/nach 1603. 

Während der Kupferstich von Heinrich Ulrich eine Kopie des Bildes im Besitz von Juliane zu sein scheint, findet sich in der Sammlung noch ein weiterer Kupferstich des Hirschkalbs, in dem jedoch hervorgehoben wird, dass mehrere Personen dieses noch herumspringen sahen, es also lebendig gewesen ist, obwohl – oder weil – es zwei Köpfe und die Organe doppelt hatte (Inventar-Nummer: HB 824 https://objektkatalog.gnm.de/wisski/navigate/30630/viewÖffnet sich in einem neuen Fenster). Doch weniger die Frage nach den Launen der Natur ist an dem Marburger Stück von Interesse, sondern der Erhaltungszustand, der auch erklären mag, warum dieses Blatt völlig kontextlos in der Akte zu finden ist. 

Archivalie: Zeichnung, darunter Schrift und Schäden durch Wasser und schwarzen Schimmel
Gefährlich für Archivgut und Mensch: Wasserschaden und schwarzer Schimmel (HStAM, 3 a, 41/26)

Denn unter der Beschreibung des Hirschkalbes finden sich braune und auch schwarze Flecken auf dem Papier, in der Mitte, wo das Blatt geknickt war, fehlen sogar einige Papierstücke. Die Verfärbungen deuten auf einen Wasserschaden hin, unterstrichen durch die schwarzen Stellen, die auf Schimmel hindeuten. Tatsächlich sind der Brief vor dem Bild in der Akte, ein Schreiben von Magdalena Bayern-Pfalz-Zweibrücken (1553–1633) vom 23. Oktober 1606 und das von ihrem Sohn Friedrich Casimir (1585–1645) vom 1. Januar 1606, das hinter dem Bild in der Akte liegt, ebenfalls mit  Wasserflecken versehen. Die Faltung der Briefe zeigt aber, dass das Bild nicht aus diesen beiden Briefen stammt und so liegt die Vermutung nahe, dass der eigentliche Brief, der das Hirschkalb-Bild enthielt, durch den Wasserschaden gänzlich verloren gegangen ist und lediglich das Bild des erstaunlichen Hirschkalbes aufbewahrt wurde. Trotz dieser Erkenntnisse sei jedoch den Leserinnen und Lesern auf jeden Fall nahegelegt: sollten Sie zufällig auf einen ähnlichen Befund in historischen Papieren stoßen, also Wasserschaden mit schwarzen Flecken, der auch das sonst eher stabile Papier etwas weicher werden lässt: Bitte sofort zuklappen, das zuständige Archiv verständigen, es besteht erhebliche Gesundheitsgefahr!

Somit liefert dieses merkwürdige Bild den Anlass verschiedene Launen der Natur anzusprechen, die in diesem Fall sehr eng bei einander liegen, aber sonst sehr weit voneinander entfernt sind.

Eva Bender, Marburg