Historischer Kupferstich: Blick auf die Wallanlagen und die Stadt Gießen

Zu Besuch auf Hessischen Jahrmärkten in der Frühen Neuzeit

Herbstzeit bedeutet Jahrmarktzeit. Wer hat beim Gedanken an Jahrmärkten nicht automatisch den Geruch von gebrannten Mandeln, Zuckerwatte oder Bratwürsten in der Nase? Laute Musik, das fröhliche Geschrei von Kindern (und Erwachsenen) in Achterbahnen und anderen Karussells inbegriffen. Jahrmärkte stehen für allgemeines Vergnügen. Im September finden auch in Hessen wieder zahlreiche Jahrmärkte und Kirmessen statt, wie beispielsweise der Herbstmarkt in Nidda (ab 1.9.), der Michaelismarkt in Wolfhagen (10.9) oder der Gallusmarkt in Büdingen (ab 22.9).

Seit jeher waren die Menschen der ausgelassenen, feuchtfröhlichen Geselligkeit zugetan. In der Frühen Neuzeit gab es vielfältige Brauchtümer und eine ausgeprägte Festkultur, die ebenso wichtig war wie das Arbeitsleben. Feiern bedeutete aber nicht nur Abstand vom harten Alltag zu nehmen, sondern auch neue Kontakte zu knüpfen, sei es beruflich oder privat. Auf den Jahrmärkten fanden die Warengeschäfte statt, es wurden regionale wie überregionale Nachrichten ausgetauscht und es gab verschiedenste Formen der Volksbelustigung.

Die meisten Städte hielten mehrere Märkte pro Jahr ab, für die es Genehmigungen seitens der weltlichen Obrigkeit bedurfte. Dabei wurde das bunte Treiben der Menschen sowohl seitens der Kirche als auch der Stadtobrigkeiten und Fürsten mit Argwohn beobachtet, galten Jahrmärkte doch als wahrlicher Sündenpfuhl – denn wo viele Menschen zusammenkommen, sind Probleme oftmals vorprogrammiert. Daher bedurfte es strenger Verordnungen, die dafür sorgen sollten, dass sich die Untertanen im Zaume hielten.

Derartige Verordnungen werden auch im Hessischen Landesarchiv aufbewahrt. Neben dieser Art Quellen finden sich in den Beständen aber auch noch zahlreiche Beschwerdeschriften oder Anklagen wegen diverser Verfehlungen und Missetaten.

Historisches Schriftstück, beschrieben in alter deutscher Schrift
Verordnung, die Zänck- und Schlägereyen uff den Gießischen Jahr-Märkten betreffend, 1639 (HStAD, R 4, 38/22)

Im September 1639 erließ Landgraf Georg II von Hessen-Darmstadt (1605–1661) etwa eine Verordnung den Gießener Jahrmarkt betreffend (HStAD, R 1 A, 38/22Öffnet sich in einem neuen Fenster). Dort kam es nämlich immer öfter zu „verschiedene[n] betrübte[n] exempla und fälle[n]“, nämlich „Gezänck, Schlägerey, Verwundungen, auch gar Todschläge“. Diese waren nicht nur dem Landesherrn zuwider, sondern sorgten ebenso dafür, dass „die christliche Lieb zu boden und mit füßen getretten, fromme Hertzen betrübt und geärgert und ein rechter Greuel eingeführt, und bey der gantzen Nachbarschafft ein bößer Ruff erwecket wird. […]“.

Die frühneuzeitliche Lebenswelt war in allen Bereichen stark religiös aufgeladen. Kam es zu besagten Taten, wurden nicht nur weltliche Rechte verletzt, sondern immer auch die göttliche Ordnung gestört. Daher fürchteten die Menschen stets den Zorn Gottes, der sich auf die Gemeinschaft niederschlagen konnte. Demensprechend drohten harte Konsequenzen für jene, die sich auf dem Gießener Jahrmarkt nicht zu benehmen wussten. So hatte sich der Landgraf dazu entschlossen, dass auf „frischer that“ ertappte Menschen, die „inskünfftig auff obberwähnten Gießer Jahr=Märckten einig Gezänk [,] Schlägerey oder Verwundung anfangen, verursachen oder darin schuldig erfunden werden, ohn Unterschied und neben Respect“ sogleich „bey den köpffen genommen, zu Haften gezogen, in böße wohlverdiente Gefängnussen geworffen“ und „mit Waßer und Brodt gespeißet, ihres Vermögens sich erkundiget, und sie darauff nicht allein an demselben und an Haab und Guth, sondern auch an Leib und Bluth härtiglich gestrafft, ein Exempel zu andern so verwegener Leuthe obschon statuiret, und solch übel aus der Wurtzel abgestrafft und weggethan werden“ sollen. Als Warnung wurde diese Verordnung überall veröffentlicht und angeschlagen.  

Doch trotz solcher Verordnungen schienen sich die Besucherinnen und Besucher der Jahrmärkte nicht an die Auflagen halten zu wollen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beschwerte sich ein gewisser Endemann, Inspektor zu Hersfeld, immer wieder über die Exzesse auf den Jahrmärkten. So heißt es in einem Schreiben vom 6. Juli 1750, „ob mann schon mit tantzen“ Sonnabend spät aufhörte, „so setzte mann dennoch das sauffen schier die gantze Nacht fort, wodurch sich das Volck zum Gottesdienst gantz ungeschickt mächte, finge auch wohl des Sontag Nach-Mittags das Tantzen de novo an.“ Die Kirmessen dauerten der Überlieferung nach mehrere Tage, bis zu einer ganzen Woche. Tatsächlich kam es auf solchen Festen zu „Schlägereyen, Unzucht, fraß und sauffen, üppig- und leichtfertigkeiten […]“.

Zwölf Jahre später berichtet Endemann über mehrere Totschläge, die sich auf Jahrmärkten und Tanzveranstaltungen zugetragen hatten. Eindringlich forderte er daraufhin zusammen mit mehreren Predigern das Verbot solcher Veranstaltungen (HStAM, 318 Hersfeld, 24Öffnet sich in einem neuen Fenster). Zu einem solchen kam es offenbar nicht. Stattdessen enthält die Akte mehrere Verweise auf Verordnungen, in denen wiederholt eine zeitliche Begrenzung von Jahrmärkten und anderen Festen auf maximal „zwey tage in erlaubter christlicher freude“ festgelegt wurde. Denn auch wenn die weltliche Obrigkeit den Jahrmärkten kritisch gegenüberstand, so war doch der wirtschaftliche Faktor solcher Veranstaltungen nicht außer Acht zu lassen. Ferner können Jahrmärkte und Tänze auch als Zugeständnisse an die Untertanen gewertet werden, die eine Erholung von der harten, alltäglichen Arbeit bedeuteten.

Viel Spaß auf den Jahrmärkten und Kirmessen in Hessen!

Jan-Hendrik Evers, Hessisches Landesarchiv